Kolumne Berliner Zeitung 1

1.) Ich (Mann, 33) bin mit meiner Freundin seit einem Jahr zusammen. Ich liebe sie sehr, die Partnerschaft läuft super. Aber: Irgendwie finde ich den Sex mit ihr langweilig und habe den Eindruck, dass es auch nicht besser wird. Ist das ein Trennungsgrund? Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus?

 

Lieber Mann, 

das ist statistische gesehen schon etwas knapp, nach einem Jahr den Sex schon langweilig zu finden. Wärt ihr vier oder fünf Jahre zusammen, würde ich sagen: „OK – jetzt sind die Verliebtheitshormone aufgebraucht, jetzt müsst ihr sehen, wie ihr aus dem – hoffentlich erlebten – Nicht-voneinander-lassen-Können der ersten Jahre in einen guten sexuellen Alltagsflow kommt“. Da kommt dann eine Zeit in dem Sex eben, wie gemeinsam Essen nicht immer das Highlight des Tages ist. 

Meine erst Frage ist: „Hast du schon mit ihr darüber geredet?“ Manche schämen sich ein wenig. „Geht das denn? Darf ich einer Frau sagen, dass mir der Sex mit ihr langweilig ist“ 

Sprichst du mit ihr, sagt sie vielleicht: „Oh ja – ich finde es auch etwas langweilig mit Dir“. Will ja auch keiner hören – aber ihr könntet dann anfangen gemeinsam nach mehr Spaß im Bett zu suchen.  

Mach Dich auf die Suche, was Dir mit dieser Frau im Bett wirklich Spaß machen würde. Sind es die sexuellen Praktiken oder ist es das sich im Sex aufeinander einlassen können? Vielleicht hast du oder sie auch spezielle sexuelle Vorlieben? Ist es das Weich-Sein-Können, das Verschmelzen? Ist es zu weich oder zu starr? Ist sie im Bett innerlich abwesend? Kannst du Dich nicht öffnen, nicht einlassen. Bist du abwesend. Wie ist euer gemeinsamer Rhythmus? Wie sprechen eure Körper miteinander? Ist es schon so weit, dass du nur ihr zuliebe noch mit ihr ins Bett gehst? Wird der Sex so zu einer Art Currywurst-Essen-müssen-weil-einer-Hunger-hat? Viel unerfüllter Sex hat auch mit Scham zu tun. Scham sich zu zeigen. Sich dem Triebhaften hinzugeben. Scham heißt aber auch, dass wir etwas in uns haben, das wir achten. 

Evtl. hat Deine Partnerin auch sehr unangenehme sexuelle Erfahrungen gemacht – wie leider viele Frauen –, kann aber mit Dir noch nicht darüber sprechen. Das könnte sich dann genau so zeigen, wie du es beschreibst: Die Beziehung ist warm aber der Sex bleibt irgendwie fremd. 

 

Mich interessiert auch, ob du dieses Phänomen schon öfters in Deinem Liebesleben hattest. Dann könnte es sein, dass du so immer wieder einen Weg findest Beziehungen nicht zu lang und zu tief werden zu lassen. Nicht in bewusster Absicht, sondern als Ergebnis einer kaum spürbaren Zögerlichkeit. Vielleicht hattest du auch schon die eine oder andere etwas längere Beziehung, in der du zu lange geblieben bist. Auch das wäre ein Zeichen, dass du das tiefere Einlassen scheust. Es ist dann ein Bisschen wie auf einem Autobahn-Rastplatz: es ist schon ok, es gibt einen Kiosk und eine Toilette, es ist auch nicht zu laut und nachts brennt Licht, aber eigentlich ist es verschwendete Zeit. Dies wären Hinweise auf eine Bindungsirritation. Etwas was aus der frühen Kindheit unsichtbar aber mit großen Auswirkungen in Deine Gegenwart schwappt. Ein Zögern, ob du Dich wirklich einlassen kannst. Eine Frage dazu ist: „Konntest du mit Deiner Mutter über die Dinge sprechen, die Dich in Deinem Innersten bewegen?“. Du kannst Dir diese Frage auch für Deine Liebesbeziehung stellen.

In den 30ern beginnen viele Menschen sich nach dem Partner fürs Leben, für eine Familie umzusehen. Wie ist das bei euch Beiden? Sprecht ihr schon über Kinder? Bisher bist du vielleicht in einer Art „Studenten-Modus“ unterwegs gewesen – Mann/Frau sieht sich noch um beim anderen Geschlecht. Da ist vieles in der Liebe einfacher, weil man ja gehen kann und mit jemanden anderen anderes erleben. Wenn du Dich mit einem Menschen auf eine Familie einlassen willst, ist dieser Weg innerlich erst einmal versperrt. Oft kommen Bindungsirritationen erst dann zum Tragen. So kann „langweilige Sex“ sogar zu einer unbewussten Verhütungsmethode werden. Die gute Nachricht ist, Bindungsirritationen sind lösbar.

Ob das alles ein Trennungsgrund ist, kannst du nur selbst entscheiden. Schnuppere an ihrem Hals, lasse ihren Geruch auf dich wirken und sprich mit ihr.