Kolumne Berliner Zeitung 11

Lieber Herr Lenné! Ich bin 32, weiblich, und kann mich nicht binden. Partner langweilen mich schnell und machen mich aggressiv. Meine Freunde sagen, ich sei Narzisstin. Wie finde ich das heraus?“

 

 

 

Liebe 32jährige Frau, Narzissmus hieße, dass Sie andre Menschen nicht wirklich lustvoll für sich besetzen könnten; diese auf eine unangenehme Art immer unbedeutend und fremd blieben. Es ist das bekannte Bild des griechischen Jünglings Narziss, der, sich über einen See beugend nur sein eigens Spiegelbild erkennen kann. In jedem Fall eine sehr einsame Angelegenheit. Sie schreiben, Sie könnten sich nicht binden. Ich würde es gerne in „sie können sich nicht tiefer einlassen“ umformulieren. Langeweile und Ärger klingen für mich eher danach, als ob Sie mit eingegangener Bindung nicht gut umgehen könnten. Wenn wir uns verlieben, wird der andere bedeutend für uns, wir sind von da ab in einem ständigen inneren Dialog mit ihm. Das heißt nicht, dass wir die ganze Zeit an ihn denken. Aber wir verbinden innerlich alles was wir erleben, erleben wollen oder nicht erleben können mit diesem Partner und unserer Beziehung zu ihm. Eine Bindungsstörung kommt aus der frühen Kindheit. Wir wissen dann in der Liebe nicht genau, ob wir in Sicherheit sind. Ob wir uns öffnen können und gehalten werden und ob wir unseren eigenen Impulsen und Wünschen nachgehen können und ausgehalten werden. Wir denken ganz am Rande unseres Bewusstseins, der andere sei vielleicht zu empfindlich oder doch nicht wirklich interessiert genug ist, um uns ganz anzunehmen. Nicht unsere Liebe und Nähe und nicht unsere ganz eigenen Wünsche und Marotten. Das zeigt sich schon in kleinen Dingen. Z.B. dürfen wir in unserem eigenen Rhythmus bleiben oder denken wir, wir müssten uns zu sehr an die Wünsche des anderen anpassen? Können wir ein bisschen zu spät kommen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen? Trauen wir uns rechtzeitig zu sagen was wir möchten und was nicht? Wie halten wir es aus, dass wir an manchen Stellen doch nicht perfekt zueinander passen? Wenn wir uns vor den kleinen Gesprächen darüber fürchten, sie vermeiden, flüchten wir oft in Langeweile oder Ärger. Wir finden denn anderen dann doch wieder zu langweilig oder zu blöd und es macht halt keinen Sinn mit ihm über die eigenen inneren Wahrheiten zu sprechen. Wir schütten hier lieber das Kind mit dem Bade aus, als einen vorsichtigen Schritt über diesen „Unsicherheits-Zaun“ zu wagen. Ich hoffe meine Gedanken helfen Ihnen beim nächsten Mann ein Stückchen weiter.