"Die Ehe ist kein Umerziehungslager"

Dieser Satz kam mir während einer sich immer wieder an der Erlösung vorbei windenden Paar-Sitzung in den Sinn. Sie war jung und unsicher, im Ausland geboren, streng aufgewachsen und mit der deutschen Kultur nicht ganz im Einvernehmen. Er kam aus der süddeutschen Provinz, etwas scheu, liebte sie sehr und wollte es ihr recht machen. Sie war korrekt, schlau und schnell - er eher leicht umständlich und nicht so "scharfkantig und genau". Entsprechend war sie, von den von ihr empfundenen kleinen Nachlässigkeiten seinerseits schnell ungehalten. Sie versuchte ihre, aus dieser Unterschiedlichkeit resultierenden hoch unangenehmen Gefühle zu vermeiden, in dem sie ihn - mehr oder weniger freundlich - dazu bewegen wollte, alles so zu machen, wie sie es für ihren Seelenfrieden brauchte. Und wie es im Einklang mit ihrer Erziehung, ihren inneren Werten und ihrem besten und besserem Wissen außerdem auch "richtig" sei.

Er wiederum bemühte sich sehr. Leider war er eine Art "Schussel by Natur", gemischt mit einer Portion passiver Aggressivität: "Oh, jetzt hab ich doch schon wieder vergessen deine Lieblings-Marmelade mitzubringen" (das ganze leicht schwäbisch betont). Dies ermöglichte ihm sich, mit einer gewissen Portion gerechter Unschuld, abwechselnd für nicht zuständig oder überfordert zu erklären. "Er bemühe sich doch!". Unangenehme Gefühle erlebte er eher darüber, dass sie so viele Anforderungen an ihn stellte.

Beide waren noch nicht in der Lage "auf eigene Rechnung" mit einander umzugehen. Ihr Unglück lag an seinen Unzulänglichkeiten und sein Unglück lag an ihren Vorwürfen darüber. Jeder hatte dem anderen damit eine Art "Fernbedienung" für sein Wohlergehen untergeschoben. Der andere solle doch endlich auf den richtigen Knopf drücken, dann würde doch alles gut werden. 

Das ganze hatte noch dazu eine merkwürdig selbstverständlich, fast religiös ideologische Wahrhaftigkeit auf beiden Seiten angenommen. Sie war in der Rolle der von Gott gegebenen besserwissenden Erzieherin und er leistete in seiner Rolle tapfer den aufrechten Widerstand eines zu unrecht versklavten. 

Ein Gefühl dafür, hier in einer Rolle gefangen zu sein, existierte auf beiden Seiten noch nicht. 

Die Feststellung: "Die Ehe ist kein Umerziehungslager", bewirkte erst Widerstand, dann Stockung, Innehalten, Erkennen und endlich: lächeln.

Sie ist nicht die Aufseherin und er ist nicht der entmündigte Insasse. Sie muss lernen auch innerlich damit umzugehen, wie er ist, und er muss lernen wirkliche Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Im besten Fall begegnen sich jetzt zwei Lernende, die sich gegenseitig gerne und liebevoll unterstützen.

Nachdem diese stabilen Gipsmasken erst einmal angeschlagen waren, fingen beide an auch in anderen Bereichen ihre jeweiligen "festen Überzeugungen" zu hinterfragen. Sie konnten so viele ihrer inneren So-ist-Es-Imperative durch Bewegung und Begegnung im Jetzt, korrigieren oder ersetzen.