10 unsensible Hinweise zu Liebe, Streit und Schicksal

Liebe Leserin - lieber Leser,
ich finde meine Hinweise recht rau - andererseits wollte ich Sie Ihnen in ihrer Klarheit nicht vorenthalten. In den anderen Blog-Einträge finden Sie meine weiche, beobachtende und fragende Seite.

  1. Hören Sie einfach auf zu streiten. Nichts kann so wichtig sein, dass Sie sich die Nächte dafür um die Ohren hauen. Schlafen Sie lieber aus und haben Sie Spaß mit Ihren Kindern.
     
  2. Fragen Sie sich ernsthaft, was Sie mit dem Streit erreichen möchten. Reden Sie sich nicht ein, dass es Ihnen tatsächlich ums Rechtbekommen ginge: Sie möchten - wie wir alle - einfach nur von Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner angenommen werden. Sagen Sie ihm (Ihr) das.
     
  3. Wenn Sie sich noch lieben, suchen Sie sich Hilfe. Entwicklung ist wirklich möglich.
     
  4. Wenn Sie nicht mehr wissen ob Sie sich lieben, finden Sie es heraus - mit allen Konsequenzen. Verschwenden Sie Ihre wunderbare Lebens-Zeit nicht zu lang mit Zweifeln oder dem falschen Partner.
     
  5. Wenn Sie ihn/sie nicht mehr lieben, gehen Sie getrennte Wege. Die Kinder werden es Ihnen danken.
     
  6. Gehen Sie auch, wenn Sie sich über lange Zeit viel mehr streiten als lieben. Egal ob sie ihn/sie noch lieben oder meinen das zu tun. Und egal wie sehr Sie finanziell verbandelt seid.
     
  7. Ihre Liebe kann einen Seitensprung überleben - zwei sind schwer - beim dritten Mal ist es mit Ihrem Vertrauen sehr sehr wahrscheinlich vorbei.
     
  8. Nehmen Sie nicht zu viel Rücksicht auf all die vielen kleinen Wenns und Aber in Ihrem Kopf.
     
  9. Wenn Ihr Partner (schicksalhaft) der Richtige ist, werden Sie sowieso zusammen bleiben. Sie können also machen was Sie wollen.
    Wenn er/sie (schicksalhaft) der Falsche ist, werden Sie eh nicht zusammen bleiben. Sie können also machen was Sie wollen.
     
  10. Sie sind ein wunderbarer Mensch und haben das Recht, Ihr Glück in der Liebe zu finden. Verkaufen Sie sich nicht unter Preis.

Herzliche Grüße
Fabian Lenné

 

 

"Die Ehe ist kein Umerziehungslager"

Dieser Satz kam mir während einer sich immer wieder an der Erlösung vorbei windenden Paar-Sitzung in den Sinn. Sie war jung und unsicher, im Ausland geboren, streng aufgewachsen und mit der deutschen Kultur nicht ganz im Einvernehmen. Er kam aus der süddeutschen Provinz, etwas scheu, liebte sie sehr und wollte es ihr recht machen. Sie war korrekt, schlau und schnell - er eher leicht umständlich und nicht so "scharfkantig und genau". Entsprechend war sie, von den von ihr empfundenen kleinen Nachlässigkeiten seinerseits schnell ungehalten. Sie versuchte ihre, aus dieser Unterschiedlichkeit resultierenden hoch unangenehmen Gefühle zu vermeiden, in dem sie ihn - mehr oder weniger freundlich - dazu bewegen wollte, alles so zu machen, wie sie es für ihren Seelenfrieden brauchte. Und wie es im Einklang mit ihrer Erziehung, ihren inneren Werten und ihrem besten und besserem Wissen außerdem auch "richtig" sei.

Er wiederum bemühte sich sehr. Leider war er eine Art "Schussel by Natur", gemischt mit einer Portion passiver Aggressivität: "Oh, jetzt hab ich doch schon wieder vergessen deine Lieblings-Marmelade mitzubringen" (das ganze leicht schwäbisch betont). Dies ermöglichte ihm sich, mit einer gewissen Portion gerechter Unschuld, abwechselnd für nicht zuständig oder überfordert zu erklären. "Er bemühe sich doch!". Unangenehme Gefühle erlebte er eher darüber, dass sie so viele Anforderungen an ihn stellte.

Beide waren noch nicht in der Lage "auf eigene Rechnung" mit einander umzugehen. Ihr Unglück lag an seinen Unzulänglichkeiten und sein Unglück lag an ihren Vorwürfen darüber. Jeder hatte dem anderen damit eine Art "Fernbedienung" für sein Wohlergehen untergeschoben. Der andere solle doch endlich auf den richtigen Knopf drücken, dann würde doch alles gut werden. 

Das ganze hatte noch dazu eine merkwürdig selbstverständlich, fast religiös ideologische Wahrhaftigkeit auf beiden Seiten angenommen. Sie war in der Rolle der von Gott gegebenen besserwissenden Erzieherin und er leistete in seiner Rolle tapfer den aufrechten Widerstand eines zu unrecht versklavten. 

Ein Gefühl dafür, hier in einer Rolle gefangen zu sein, existierte auf beiden Seiten noch nicht. 

Die Feststellung: "Die Ehe ist kein Umerziehungslager", bewirkte erst Widerstand, dann Stockung, Innehalten, Erkennen und endlich: lächeln.

Sie ist nicht die Aufseherin und er ist nicht der entmündigte Insasse. Sie muss lernen auch innerlich damit umzugehen, wie er ist, und er muss lernen wirkliche Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Im besten Fall begegnen sich jetzt zwei Lernende, die sich gegenseitig gerne und liebevoll unterstützen.

Nachdem diese stabilen Gipsmasken erst einmal angeschlagen waren, fingen beide an auch in anderen Bereichen ihre jeweiligen "festen Überzeugungen" zu hinterfragen. Sie konnten so viele ihrer inneren So-ist-Es-Imperative durch Bewegung und Begegnung im Jetzt, korrigieren oder ersetzen.

Nicht die Zeit vergeht - wir vergehen ...

Dieser Satz schwirrt mir seit einigen Tagen durch den Kopf - ich habe ihn aufgeschnappt, im Radio, im Netz - ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur: Er geht nicht mehr weg. Er windet sich durch meine Gedanken und verändert meinen Blickwinkel.
Wenn die Zeit verginge, würde ich mein Leben, meine Gefühle von Außen durch die vergehende Zeit hindurch sehen - wenn ich vergehe, mich verändere, entwickle, blühe, am Ende auch welk werde, dann verlasse ich den oft besserwissenden und besserwisserischen Beobachter und erlebe mein Sein. Ich fühle mich. Der Satz führt mich direkt in mein Gewahrsein. Der Blick auf die Uhr dagegen - der Blick auf die äußere Bestimmung - führt mich oft aus dem Erleben, führt mich aus dem Jetzt in das Nachher und Dann. 

Perspektivwechsel - tiefenpsychologisch: Überstigsfähigkeit - erweitert unsere Möglichkeiten. Wir können die Dinge außen und die Dinge innen anders verknüpfen und ihnen andere Bedeutungen zuweisen. Wir können so mancher alten Erfahrung und daraus resultierendem Mustern ein schnelles Schnippchen schlagen. Mich interessiert am Meisten der innere Perspektivwechsel von Beobachter zu Fühlenden. Das Ich wandert aus der Wahrnehmung der Fakten in das Erlebende Selbst: Wir sind verbunden. Begegnung der Seelen - für mich einer der zentralen Wirkfaktoren von Psychotherapie - kann nur zustande kommen, wenn beide mit sich selbst im Erleben sind. Vielleicht ist es sogar so, dass die Therapie in dem Moment ihrem Ende zugeht, wenn Klient und Therapeut beginnen sich ersthaft und nachhaltig zu begegnen. Jemandem begegnen zu können, heißt bei sich sein zu können. Bei sich sein zu können, heißt ausreichend mit dem eigenen Selbst befreundet und bekannt zu sein. Mit dem eigenen Selbst im Reinen zu sein, heißt nicht mehr an sich zu leiden.

Probieren Sie folgende Übung:
Machen Sie zwei, drei normale Kniebeuge. Machen Sie jetzt wieder einige Kniebeuge, stellen Sie sich diesmal dabei vor, dass Sie wenn Sie nach oben gehen nicht ihren Körper nach oben drücken, sondern die ganze große Erde unter Ihren Füßen diesen halben Meter nach unten drücken. Wenn Sie in die Knie gehen, ziehen Sie diese ganze schwere Erde einen halben Meter mit Ihren Füßen nach oben. Sie bleiben wo Sie sind. Nicht Sie bewegen sich rauf und runter, die Erde bewegt sich.

Viel Spaß
Fabian Lenné