Wie geht eine gute Beziehung - Kolumne Berliner Zeitung 17

Farbrizia, 36: „Lieber Herr Lenné! Vielen Dank für Ihre tollen Kolumnen. Ich habe eine etwas generelle Frage: Sie machen ja schon lange Paartherapie. Aus Ihrer Erfahrung heraus: Was sind die Schlüssel für eine gelungene, erfüllte Beziehung? Sex? Verständnis? Oder Teamwork?“

 

Liebe Farbrizia, erst einmal vielen Dank für die Blumen für meine Kolumnen. Deine Frage ist wohl die Frage aller Fragen. Es gibt wahrscheinlich zehn Meter Buchrücken zu diesem Thema und in der „Brigitte“ steht es auch in jeder dritten Ausgabe. In der Psychotherapieforschung finden sich in etwa deine drei Punkte: anziehende Erotik, Interesse am Anderen und Lust auf Kooperation. Ich habe deine Vorschläge – Sex, Verständnis und Teamwork etwas anders beschrieben. Sex allein ist weitgehend austauschbar, Verständnis kann ich für viele haben und Teamwork geht auch in der Firma. In der Liebe versuche ich mich in allen dreien auf den geliebten Partner zu richten. Die Partnerwahl und das Verlieben hat, zum Ärger der Singlebörsen immer noch einen großen, nennen wir es magischen Anteil. Aber wenn es erst einmal stattgefunden hat, dieses Unbeschreibliche Bedeutungsvolle, dann flattert unser Innerstes oft wie ein kleiner Vogel und sucht die Berührung und Begegnung mit diesem Innersten des anderen. Das Zauberwort diese Türen zu suchen, zu finden und auch zu öffnen heißt Vertrauen. Es verwandelt Sex in Erotik, Interesse in bedeutungsvolle Begegnung und lässt durch Kooperation eine innere und äußere Heimat entstehen. Die Fähigkeit zu Vertrauen ist ein tiefer Schlüssel. Die Art, wie unsere Eltern in den ersten Monaten unseres Lebens auf unsere Äußerungen und Bedürfnissen reagieren, formt unser Grundvertrauen und unser Bindungsverhalten. Sind diese irritiert, werden sie immer wieder als unterschwelliges Misstrauen oder Zögern in allen wirklich nahen Beziehungen unseres Lebens für Unruhe sorgen. Auf der oberen Ebene arbeite ich mit den Paaren an Sex, Interesse und Kooperation. Die wirksame Veränderung findet in der Arbeit auf der Vertrauensebene statt. Es gibt zwei einfache Fragen zu Bindung und Urvertrauen: „Können Sie mit Ihrer Mutter über Ihr Innerstes sprechen?“ und „Können Sie mit Ihrem Partner über Ihr Innerstes sprechen? Bildlich gesprochen ist es dieser kleine Vogel in uns, der sich trauen muss mit dem andern Vogel zu spielen. Sich hinzugeben und fallen zu lassen. Erst dann kann aus Sex, Verständnis und Kooperation eine sich immer wieder selbst erneuernde und selbst erfrischende Liebesbeziehung werden.

 

 

 

 

Kolumne Berliner Zeitung 16

Kerstin, 32: „Lieber Herr Lenné, ich bin mit meinem Freund seit drei Jahren zusammen. Ich gebe zu: Er gibt mir Sicherheit. Doch seit Anfang an finde ich die Sexualität nicht gut, als gäbe es nicht viel Chemie. Ich habe versucht, den Sex mit ihm zu verbessern. Aber es klappt nicht. Gleichzeitig hänge ich sehr an ihm. Dennoch habe ich Zweifel, ob die Beziehung so trägt ein Leben lang. Was kann ich tun?“ 

 

 

Liebe Kerstin, Liebe besteht manchmal wohl aus mehr als gutem Sex. Du fragst „ob die Beziehung so ein Leben lang trägt“. Das klingt, als wolltest du dich mit ihm niederlassen und die nächsten Lebensphasen gemeinsam angehen – vielleicht sogar eine Familie gründen. Er gibt Dir Sicherheit. Das alles klingt zusammen ernst und auch schön. Jetzt scheint dein Herz sich in einen Mann verliebt zu haben, mit dem dein Unterleib nur bedingt etwas anfangen kann. Das klingt wie eine kleine Gemeinheit des Schicksals. Du schreibst, dass du schon versucht hast den Sex zu verbessern. Was sagte er zu deinen Nöten und zu deinen Vorschlägen? Konnte er mitgehen oder fühlte er sich gekränkt? (Wer will schon hören, dass der Sex mit ihm nicht sooo gut ist?) Wie war das bei dir in deinen früheren Beziehungen mit der Balance zwischen Sicherheit und Spaß im Bett? Und wie war es bei ihm bisher? Schaler Sex ist manchmal auch ein Taschenspielertrick des Unbewussten, um doch noch einen Grund zu finden sich nicht tiefer einlassen zu müssen. Irgendeinen Ausweg vor der gefühlten Endgültigkeit eines gemeinsamen Lebens muss sich doch finden lassen. Dieser Schritt in die Phase des familiären Niederlassens ist für einige ganz selbstverständlich, für ander aber ein wirklicher Angang. Hier prägt uns unterschwellig unsere Herkunftsfamilie. War dieses naturgegebene Dazugehören in der Kindheit für uns eher mit Versorgtwerden oder eher mit Ausgeliefertsein konnotiert? Diese Erfahrungen bilden eine unsichtbare Blaupause auch für unsere inneren Möglichkeiten uns sexuell tiefer einzulassen. Manchmal ist nicht so schöner Sex aber leider einfach nur nicht so schöner Sex. Wenn du mit ihm zusammenbleiben und besseren Sex haben möchtest, werdet ihr euch auf jeden Fall weiter damit beschäftigen müssen. Es gibt z.B. die Technik des „Erotischen Zwiegesprächs“ von Lukas Möller (Anleitungen im Netz). Damit könntet ihr üben weicher, neugieriger und offener mit eurer Lust, euren Körpern und euren begehrenden Herzen umzugehen. Vielleicht entdeckt ihr so gemeinsam eine neue erfüllende Sexualität. Der Versuch lohnt sich in jedem Fall.

Kolumne Berliner Zeitung 15

Stefan, 38: „Ich habe von Freunden erfahren, dass sie polygam leben. Ich frage mich, ob das auch für mich ein Lebensmodell wäre. Mich würde interessieren, was die Erfahrungen in der Praxis sind. Kann man Polygamie lernen?“

 

Lieber Stefan, ich vermute du meinst Polyamorie. Polygamie bedeutet nur mehrere Ehepartner gleichzeitig zu haben. In den allermeisten polygamen Kulturen sind es die Männer die mehre Frauen ehelichen dürfen. Es geht dabei überwiegend um, historisch entstandene patriarchale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Polyamorie hingegen meint frei gewählte Beziehungen mehrerer Menschen miteinander. Das kann eine Person sein, die mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig führt, es können auch mehrere Personen mit parallelen Liebesbeziehungen sein. So gibt es durchaus darin enthaltene Dreier-Beziehungen, gepaart mit mehreren Zweierbeziehungen. Der zentrale Unterschied zur Polygamie besteht in der offenen Freiwilligkeit. Polyamorie basiert auf drei wichtigen Grundpfeilern: Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Kommunikation. Die Verhältnisse müssen ehrlich ausgesprochen werden, auch wenn es manchmal wehtut und Vereinbarungen werden gemeinsam ausgehandelt. Polyamorie ist kein anderer Name für „ich will mich nicht ganz einlassen“ oder „ich gehe belanglos mit jedem ins Bett“. Sie ist eine ernste Form verbindlicher tiefer Liebe, die langfristige Beziehungen, Kinder und gemeinsame finanzielle Absicherung durchaus miteinschließen kann. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Kommunikation sind auch in der monogamen Liebesbeziehung Werte ohne die ein erfülltes, glückliches Beziehungsleben langfristig nicht möglich sind. Dem verständlichen polyamorösen Wunsch nach mehreren erfüllenden Beziehungen gleichzeitig steht dabei oft die intensive Auseinandersetzung mit Verlassensängsten und Eifersucht gegenüber. Ob es ein Lebensmodel für dich sein kann, hängt davon ab wie innig dein Wunsch nach parallelen Beziehungen ist und wie gut und gerne du deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse erkennen und aushandeln kannst und willst. Wie stark es dich in Richtung polyamoröser Beziehungen zieht, kannst du nur in dir selbst fühlen. Offenheit, Umgang mit Eifersucht, Kommunikationshilfen und Kontakt zu erfahreneren Gelichgesinnten kannst du in zahlreich angebotenen Seminaren erlernen und üben. Es bedarf vielleicht etwas Mut zu solch einer Veranstaltung zu gehen oder gar ein längeres Seminar zu besuchen, aber du wirst dort sicher etwas über dich erfahren und der Antwort auf deine Frage näherkommen.

Kolumne Berliner Zeitung 14

„Christina, 34, ich bin jetzt seit einem Jahr mit meinem Freund zusammen. In letzter Zeit holpert es, ich bin wahnsinnig eifersüchtig, wenn mein Freund andere Frauen trifft. Ich streite mich dann viel mit ihm. Gibt es ein Rezept gegen Eifersucht?“

 

Liebe Christina, Eifersucht ist sicher mit eines der stärksten und ärgsten sozialen Gefühle. Eine sehr nahe, aber auch sehr unangenehme Verwandte der Liebe. Sie ist wie ein Feuer, das uns von innen verbrennt. Das Wort heißt übersetzt tatsächlich „Feuerkrankheit“. Du möchtest gerne ein Rezept gegen diese Feuerkrankheit haben. Dazu müssen wir erst einmal schauen welcher Art deine Krankheit ist. Eifersucht selbst ist das Gefühl zurückgesetzt zu werden. Du erlebst sie so, dass Dein Partner sein Augenmerk zu sehr auf eine andere Frau richtet und dich dabei vernachlässigt. Du bekommst die Liebe und Aufmerksamkeit nicht, die dir als seine Partnerin „zusteht“. Es ist ungerecht und ausweglos. Geht dein Partner tatsächlich zu nahe an andere Frauen heran, ist deine Eifersucht ein gesundes und normales, wenn auch recht unangenehmes Gefühl. Eifersucht wird jedoch oft durch ein schwaches Selbstwertgefühl sehr unangenehm verstärkt. Wie war das bisher in deinen Leben, deinen Beziehungen, deinem Beruf – warst du immer schon schnell eifersüchtig und hast dich zurückgestellt gefühlt? Dann wäre es eine Frage nach deinem Selbstwertgefühl. Wenn dieses zu brüchig ist, brauchst du ständig Zufluss und kleine Sicherheiten. Da könnte schon ein Gespräch deines Partners mit einer anderen Frau sehr irritierend für dich sein. Vielleicht hat aber auch Dein Partner ein kleine Selbstwertschwäche und braucht deshalb selbst steten Zufluss. Dann bekommen die Häufigkeit und Art wie er mit anderen Frauen spricht schnell einen Unterton, der Dich hellhörig werden lässt. Du bist 34 Jahre alt, also in einem Alter in dem sich viele Menschen den „Partner fürs Leben“ suchen. So kann es sein, dass du mit diesem Partner tatsächlich innerlich schon viel weiter planst und entsprechend aufmerksamer für alle seine Verhaltensweisen bist und damit deine persönliche Eifersucht jetzt erst richtig kennenlernen kannst. Hier besteht die „Medizin“ aus hinschauen, aushalten und darüber sprechen. Im unangenehmsten Fall will sich Dein Partner tatsächlich nicht ganz auf dich einlassen. Hier ist die Frage wie tief und wie lange möchtest du da noch dabei bleiben. Leider ist es oft eine unangenehme Mischung als allem. In jedem Fall ist es wichtig, dass ihr darüber ins Gespräch kommt.

Kolumne Berliner Zeitung 13

Tobias, 36: „Lieber Herr Lenné, danke für Ihre wunderbaren Kolumnen! Ich habe eine ziemlich intime und schwierige Frage. Ich bin seit vier Jahren mit meiner Freundin zusammen, finde die Beziehung gut, aber eine tiefe Leidenschaft habe ich nie empfunden. Trotzdem war ich noch nie in so einer stressfreien Beziehung, wollte sie deshalb nicht aufgeben. Ich frage mich oft dennoch: War es das schon? Sollte ich nicht lieber nach der großen Liebe suchen? Sollte ich dem Gefühl nachgeben, mit meiner Freundin gar darüber reden oder akzeptieren, dass manche Menschen die große Liebe einfach nicht finden?“

 

Lieber Tobias, die Frage, die du wälzt, scheint mir eine nahe Verwandte der Frage nach dem Sinn unsren Lebens überhaupt zu sein. Wir werden geboren, wachsen in unseren Familien auf, lernen etwas, ziehen aus in unser eigenes Leben und am Ende sterben wir. Was bleibt übrig? Manche schreiben Bücher dafür, andere gründen Firmen, wieder andere leben als Familienmenschen. Wie erkennen wir, ob etwas richtig und gut für uns ist – sinnhaft für unser Leben ist? Wie war das bisher in Deinen Beziehungen? Hast du bei anderen Frauen mehr Feuer gespürt? Warum konntest du nicht bleiben? Manchmal ist es ein Taschenspielertrick unseres Unbewussten, mit einem Partner zu bleiben, dem wir uns (vielleicht erst einmal) nicht so tief verbunden fühlen. Wir können uns dann langsam annähern und uns vorsichtig öffnen. Es ist nicht so gefährlich, wir müssen nicht so viel streiten und werden nicht so unangenehm hilflos, wie bei den Partnern mit „Feuer“. Wenn es gut geht, vertieft sich die Liebe, wir öffnen uns und kommen an. Die Frage ist, was möchtest du in diesem Leben erleben? Möchtest du Kinder? Möchtest du mit dieser Partnerin alt werden? Oder bist du einer, der das Leben so nimmt wie es kommt? Stell Dir einmal vor, du wärst jetzt 80 Jahre alt und würdest auf dein gelebtes Leben zurückschauen. Du schaust auf diesen 36-jährigen Tobias in dieser Beziehung. Was würdest du ihm mit deinen weisen 80 Jahren raten? Du musst jetzt nicht unbedingt auf diesen alten Mann hören, aber er kann dir sicher wichtige Hinweise geben. Die andere Frage ist, wie du mit Deiner Partnerin dazu umgehen möchtest. Wenn es dich so drückt, kannst du es überhaupt für Dich behalten, ohne dass du ihr damit etwas wichtiges vorenthältst? Mit Ihr darüber zu sprechen, würde einiges in Bewegung setzten. Es würde dir und ihr ein Stück den Weg frei machen, zu Leben was ihr wirklich leben wollt. Ob weiter zusammen oder jeder auf seine Art.

Kolumne Berliner Zeitung 12

„Stephanie, 33, lieber Herr Lenné, vielen Dank für Ihre Kolumnen. Ich habe ein Kind bekommen und seit etwa 2 Jahren sehr wenig Sex mit meinem Partner. Glauben Sie, dass sich das wieder richtet? Oder gibt es Paare, die nach dem ersten Kind mit dem Sexhaben aufhören? Wie sind Ihre Erfahrungen? Herzliche Grüße Ihre Stephanie“

 

Liebe Stephanie, erst einmal Glückwunsch zu dem Kind. Warum sollten Menschen nach dem ersten Kind mit dem Sex aufhören? Da würde sich die Menschheit schnell halbieren. Viele Paare haben im ersten Jahr nach der Geburt sehr wenig oder keinen Sex. Da ist dieses neue kleine Wesen in das Leben des Paares hineingewünscht, hineingerutscht, hineingepresst. Alles ist wie es sein sollte, aber nichts ist mehr, wie es war. Aus den Tiefen der Seele kommen, vorher in dieser Intensität unbekannte Gefühle. Liebe, Erfüllung, Verletzlichkeit, Verbindung und manchmal Gefühle zu abhängig zu sein, füllen das Herz fast bis zum Bersten. Besonders beim ersten Kind brauchen die Paare Zeit sich an diese ungeübte Fülle zu gewöhnen. Die jungen Mütter haben den Baby-Pieps an und alle Türen zum Kinderzimmer weit offen, dennoch müssen sie alle 10 Minuten nervös selbst nachsehen, ob alles mit ihrem kleinen Engel in Ordnung ist. Das ist gesund und normal. So sind wir Menschen, wenn wir Nachwuchs bekommen. Auch müssen bei vielen Frauen Geburtswunden verheilen – körperliche manchmal auch seelische. So geht das erste Jahr dahin und Sex ist nicht das wichtigste. Jetzt sind es bei euch schon zwei Jahre und es scheint nur zu tröpfeln. Es gibt ein paar „Klassiker“, warum der Sex nicht wieder anspringen will. Vielleicht hat sich dein Verhältnis zu deinem Körper und deiner Sexualität durch die Mutterschaft verändert und du bist verunsichert was du im Bett jetzt eigentlich fühlen und erleben möchtest. Vielleicht sind auch im ersten Jahr mit dem Baby zu viele kleine Streits und Differenzen nicht wieder aufgelöst worden. Du hast dich vielleicht zu viel allein gelassen oder unverstanden gefühlt. Und natürlich, wenn der Alltag stark von einem kleinen Kind bestimmt wird, ist oft nicht genug freie Zeit da, um – wie vor dem Kind – von selbst in den gemeinsamen sexuellen Fluss zu gelangen. Ihr müsstet euch jetzt um sinnlich, nah und evtl. auch sexuell zu werden selbst kümmern. Freie Zeit schaffen, in der es passieren kann, aber nicht muss. Das fühlt sich zuerst etwas fremd an und wird zu Anfang auch schief gehen, ist aber eine wirklich gute Möglichkeit aus der Elternschaft wieder in die Liebesbeziehung zu gelangen.

Kolumne Berliner Zeitung 11

Lieber Herr Lenné! Ich bin 32, weiblich, und kann mich nicht binden. Partner langweilen mich schnell und machen mich aggressiv. Meine Freunde sagen, ich sei Narzisstin. Wie finde ich das heraus?“

 

 

 

Liebe 32jährige Frau, Narzissmus hieße, dass Sie andre Menschen nicht wirklich lustvoll für sich besetzen könnten; diese auf eine unangenehme Art immer unbedeutend und fremd blieben. Es ist das bekannte Bild des griechischen Jünglings Narziss, der, sich über einen See beugend nur sein eigens Spiegelbild erkennen kann. In jedem Fall eine sehr einsame Angelegenheit. Sie schreiben, Sie könnten sich nicht binden. Ich würde es gerne in „sie können sich nicht tiefer einlassen“ umformulieren. Langeweile und Ärger klingen für mich eher danach, als ob Sie mit eingegangener Bindung nicht gut umgehen könnten. Wenn wir uns verlieben, wird der andere bedeutend für uns, wir sind von da ab in einem ständigen inneren Dialog mit ihm. Das heißt nicht, dass wir die ganze Zeit an ihn denken. Aber wir verbinden innerlich alles was wir erleben, erleben wollen oder nicht erleben können mit diesem Partner und unserer Beziehung zu ihm. Eine Bindungsstörung kommt aus der frühen Kindheit. Wir wissen dann in der Liebe nicht genau, ob wir in Sicherheit sind. Ob wir uns öffnen können und gehalten werden und ob wir unseren eigenen Impulsen und Wünschen nachgehen können und ausgehalten werden. Wir denken ganz am Rande unseres Bewusstseins, der andere sei vielleicht zu empfindlich oder doch nicht wirklich interessiert genug ist, um uns ganz anzunehmen. Nicht unsere Liebe und Nähe und nicht unsere ganz eigenen Wünsche und Marotten. Das zeigt sich schon in kleinen Dingen. Z.B. dürfen wir in unserem eigenen Rhythmus bleiben oder denken wir, wir müssten uns zu sehr an die Wünsche des anderen anpassen? Können wir ein bisschen zu spät kommen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen? Trauen wir uns rechtzeitig zu sagen was wir möchten und was nicht? Wie halten wir es aus, dass wir an manchen Stellen doch nicht perfekt zueinander passen? Wenn wir uns vor den kleinen Gesprächen darüber fürchten, sie vermeiden, flüchten wir oft in Langeweile oder Ärger. Wir finden denn anderen dann doch wieder zu langweilig oder zu blöd und es macht halt keinen Sinn mit ihm über die eigenen inneren Wahrheiten zu sprechen. Wir schütten hier lieber das Kind mit dem Bade aus, als einen vorsichtigen Schritt über diesen „Unsicherheits-Zaun“ zu wagen. Ich hoffe meine Gedanken helfen Ihnen beim nächsten Mann ein Stückchen weiter.

Kolumne Berliner Zeitung 10

Volker, 44: Lieber Herr Lenné. Meine Frau, mit der ich seit 12 Jahren glücklich verheiratet bin, überraschte mich kürzlich mit dem Wunsch nach einem „Dreier“. Sie sagt, sie wolle ein Mal in ihrem Leben eine Erfahrung mit einer Frau machen – da sie mich aber nicht betrügen wolle, wäre es doch das Praktischste, wenn ich dabei wäre: Sie würde ihre – einmalige – Erfahrung machen, und ich hätte im Zweifelsfall „doppelt Spaß“. Soll ich mich darauf einlassen? Ich habe unser Sexleben bislang als erfüllt empfunden und auch von ihr nichts Gegenteiliges gehört. Ich habe, ehrlich gesagt, große Angst, dass unsere Beziehung danach nicht mehr dieselbe ist.

Volker Kaufmann, Kleinmachnow

 

 

Lieber Volker, in der Fantasie vieler Männer wäre das wohl erst einmal ein Traumangebot: mit zwei Frauen gelichzeitig ins Bett „zu müssen“. Aber wie das so mit Fantasien ist, und sicher bei sexuellen Fantasien ganz besonders, was kann man sich da nicht alles ausmalen, aber will man das dann auch wirklich erleben? Deine Frau scheint da unerfüllte sexuelle Sehnsüchte in sich zu haben. Sie spricht dich an und bittet dich mitzumachen. Es könnte sein, dass deine Frau eine bisexuelle Seite hat und ihr zusammen herausfinden müsst, wie ihr auch auf Dauer damit umgehen wollt. Wir können im Bett mit unserem Partner alles ausprobieren, alles turnen und uns verkleiden, besondere Orte aufsuchen. Aber es wird am Ende immer derselbe Partner sein, mit dem wir im Bett sind. In eurem Fall wird deine Frau mit dir immer einen Mann und eben nie Frau im Bett finden. Deine Frau will und wird mit der anderen Dinge erleben können, die sie mit dir als Mann nicht erleben kann. Da gibt es auf der einen Seite evtl. besondere sexuelle Erfahrungen, die ihr noch zusammen machen könnt. Wie weit habt ihr schon über ihre Wünsche und Vorstellungen dabei gesprochen? Und wie gefallen dir ihre Bilder? Was könnten deine Wünsche dabei sein? Auf der anderen, aber am Ende wichtigeren Seite steht die Frage nach eurer Beziehung. Manchmal bleibt Sex eben nicht nur Sex, sondern führt auch in die Nähe von Bindung. Deine Frau könnte sich in die andere verlieben. Oder du könntest dich in die andere verlieben. Du schreibst, ihr seid glücklich verheiratet und eurer Sexleben ist erfüllt. Offensichtlich wird schon allein durch die Beschäftigung mit dem Thema etwas Beunruhigendes in dir sichtbar. Etwas worüber du mit ihr sprechen müsstet. Etwas was vielleicht eure Liebe prüft und im besten Fall vertieft. Aber manchmal ist Sex auch einfach nur Sex.

Kolumne Berliner Zeitung 9

Julian, 39: Seit ein paar Monaten date ich einen Mann, der mir von Anfang an gesagt hat, dass er ein Freund hat. Ich habe einfach nie darin investiert, aber jetzt plötzlich erzählt er mir, wie sehr er mich vermisst und wie gern er mit mir zusammen wäre. Ich mag ihn gern und genieße die Zeit, aber er sagte: Gerade habe sein Freund aber das 2. Staatsexamen zum zweiten Mal nicht geschafft. Aus Rücksicht auf diese Niederlage „kann“ er sich „jetzt“ nicht trennen. Ich will ihn natürlich zu nichts drängen, aber ich bin Ende 30 und denke: „Echt jetzt?“ Sollte ich trotzdem Geduld haben? 

Julian W., Kreuzberg

 

 

Lieber Julian, das klingt nach der klassischen Geliebten – in deinem Fall Geliebter. Jemand sucht sich, aus welchen Gründen auch immer neben seiner festen Beziehung eine Ergänzung. Irgendetwas fehlt in der Ursprungsbeziehung, oder soll fehlen. Manchmal ist es ein ungeschickter Versuch die Beziehung in schweren Zeiten zu stabilisieren – z.B. mit kleinen Kindern oder existenziellen Belastungen. Manchmal ist es die Angst sich ganz einzulassen, sich ganz zu binden. Sich zum Partner zugehörig zu fühlen heißt unvermeidbar auch sich ein Stück von ihm abhängig zu fühlen. Manchmal, bei jüngeren Menschen ist es unbedacht und Ausdruck von auch sexueller Lebensfreude. Manchmal ist es auch eine Mischung aus allem dreien. In der klassischen Geliebten-Falle wird der Fremdgeher seinen Lebensmittelpunkt fast immer in der Ursprungsbeziehung belassen, egal was er beteuert. Im meiner Praxis bleiben, in ähnlichen Fällen etwa zwei Drittel am Ende mit ihren ursprünglichen Partnern zusammen. Das klingt jetzt erst einmal nur bedingt hoffnungsfroh, es besteht aber eine gewisse Chance für Dich diesen Mann dennoch an deine Seite zu bekommen. Dazu müsst ihr miteinander über die Liebe sprechen. Über eure Sehnsucht, über eure Ziele und eure Pläne. Sucht ihr zusammen einen Hafen, eine Heimat oder seid ihr eher Wanderer? Kann er dich im Moment so sehr vermissen, weil er von seinem Partner „ja gerade leider“ nicht wegkann? Oder ist er wirklich fair zu seinem Partner? Und wie lange kannst du ihm geben, bevor du dich abwenden musst? Sprecht die Dinge aus.

Diese Gespräche fordern die Nähe heraus. Gelingt es und ihr könnt euch gegenseitig öffnen und finden, besteht eine gute Chance das ihr auch ein Paar werdet. Vielleicht sogar ein Paar mit tieferer Liebe als ihr sie bis dahin kanntet. Gelingt es euch nicht, dann hör sehr genau und tief auf dein eigenes Herz, egal was auch immer er beteuern mag. 

 

Kolumne Berliner Zeitung 8

„Saskia, 35, lieber Herr Lenné! Danke für Ihre tollen Kolumnen. Ich habe ein Problem: Ich bin seit 6 Jahren mit meinem Freund zusammen. Er möchte keinesfalls Kinder. Ich schon. Ich liebe ihn und denke mir nun: Sollte ich mich trennen? Oder wäre es richtig, sich für die Liebe zu entscheiden und darauf warten, dass der Kinderwunsch irgendwann verschwindet? Welcher Wunsch ist wichtiger: der nach Liebe oder nach Kindern?“

 

 

Liebe Saskia, es freut mich, dass Dir meine Kolumnen gefallen. Die Antwort auf deine Frage ein Baby zu bekommen oder eben nicht, ist wohl eine der schwersten Entscheidungen im Leben einer Frau. Wir Männer haben ja fast keine zeitliche Einschränkung und können eure manchmal zwingende Sehnsucht oft nur schwer verstehen. Von zehn Frauen wollen im Laufe ihres Lebens neun davon Kinder. Acht davon werden tatsächlich Mütter. Etwa 10% bleiben ungewollt kinderlos. Das heißt, die allermeisten Frauen wollen und bekommen Kinder oder versuchen es. Da ich selbst zwei Kinder großgezogen habe und im Frühjahr Großvater geworden bin, bin ich bei der Antwort auf diese Frage sicher etwas parteiisch in Richtung Kinder. Aber nichtsdestotrotz gibt es ganz normale Männer und Frauen, die in ihrem Leben einfach keine Kinder möchten. 

Jetzt bist du mit einem Mann zusammen, den du wohl sehr liebst und der keine eigenen Kinder möchte. Viele Paare trennen sich wegen dieser oft unlösbaren Spannung. Der Kinderwunsch gewinnt meistens. In meiner Praxis habe ich zwei bis drei Paare im Jahr mit in etwa dieser Fragestellung. Mit viel Gespräch und gemeinsamer Suche besteht eine gewisse Chance, dass die Paare entweder ohne Kinder zusammenbleiben oder doch gemeinsam Kinder bekommen oder sich friedlich trennen. Du bist erst 35 Jahre alt und hast so eine reale Chance, wenn du dich jetzt trennst, noch einen ordentlichen Partner für die Liebe und für Kinder zu finden. Für Dich als Frau, mit deiner biologischen Begrenzung finde ich es sehr wichtig diese Entscheidung wirklich ausführlich zu überdenken. Ich empfehle euch einige Sitzungen bei einem Paartherapeuten zu nehmen und folgende Fragen gemeinsam zu untersuchen: Wie stark ist Dein Kinderwunsch? Warum genau möchte Dein Partner keine Kinder? Was ist seine Sorge? Könnt ihr etwas so verändern, dass er doch Kinder möchte? Ist eure Liebe so stark und so sicher, dass sie diese Spannung aushalten wird? Überlegt, wie ihr in fünf, in zehn und in 20 Jahren damit umgehen werdet? Noch läuft dir die Zeit nicht weg. Sprecht miteinander und nehmt eure Leben ernst.

Kolumne Berliner Zeitung 7

Christian, 29: "Lieber Herr Lenné! Danke für Ihre Einblicke aus der Paartherapie. Ich habe folgende Frage: Ich denke darüber nach, nach 2 Jahren Beziehung mit meiner Freundin zusammenzuziehen. Bislang hat Zusammenwohnen bei mir nicht so geklappt, ich fühlte mich schnell eingeengt. Sollte ich es versuchen? Oder kann es sein, dass Zusammenwohnen einfach nicht für jedermann ist? Aber wie gründe ich dann eine Familie? Was sagen Ihre Erfahrungen?"

 

 

Lieber Christian, Zusammenziehen und Familie gründen sind wohl die Königsklasse der Liebesbeziehung. Und damit wohl auch das Aufregendste und Beeindruckteste – auch wenn manches dabei durch seine Beständigkeit wie in Zeitlupe abzulaufen scheint. Gerade eben noch zusammengezogen und unbemerkte sechs, sieben Jahre später werden die Kinder schon eingeschult. Der Lebenspartner wird zum Dreh- und Angelpunkt deines Lebens, deine Familie zu deiner Heimat. Es geht dabei im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Die Kinder bringen uns das Leben und erinnern uns an unsere Sterblichkeit. Das Bild von Leben und Tot passt symbolisch und paartherapeutisch vielleicht auch zu Deinen Gefühlen in der Beziehung schnell eingeengt zu sein. Du ziehst dich zurück und wirst innerhalb der Beziehung immer lebloser. Das Freudige, Lebendige stirbt ab oder du kannst es nur noch außerhalb leben. Vielleicht gehst du weiter gerne feiern, weißt aber nicht mehr so recht, wie du dich zu Hause lebendig fühlen sollst. 

Wahrscheinlich engt Dich Deine Freundin nicht in echt ein. Es ist mehr in Dir, du ziehst dich zurück und nimmst deinen Raum nicht wahr. Viele mit diesem Problem denken an dieser Stelle, dass sie zu viel für ihre Partnerin sind und halten sich deshalb zurück. Andersrum gedreht hätte man sich dann allerdings eine Partnerin ausgesucht, die nicht sehr belastbar wäre. Wie kräftig ist deine Freundin wirklich? Fühlt sie sich so schnell von dir bedrängt oder sogar in Frage gestellt, wie du denkst? Kann sie rechtzeitig und freundlich Bescheid sagen, wenn du deine Lebendigkeit nicht zurück hälst? Vielleicht fehlt sie ihr in diesen Momenten sogar. Es sind meist bestimmte frühe Erfahrungen mit unseren Eltern und Geschwistern, die uns dann als Erwachsene, in der Nähe ein wenig zu schüchtern sein lassen. Jetzt mit 29 Jahren kannst du dazu mit Deiner Freundin neue Erfahrungen sammeln und dein Verhalten hinterfragen. Wie immer an dieser Stelle: Sprich mit ihr darüber. Vielleicht werdet ihr beide staunen. Wahrscheinlich werdet ihr euch näherkommen. 

 

Kolumne Berliner Zeitung 6

Stefanie, 43: "Lieber Herr Lenné, ich habe ein Problem: Ich finde seit etwa einem Jahr meinen Partner nicht mehr attraktiv. Wir sind seit elf Jahren zusammen. Kleinste Dinge stören mich plötzlich. Seine Witze nerven mich. Wir haben zwei Kinder. Sind solche Durststrecken normal oder sollte ich mir Sorgen machen? Welche Erfahrungen machen Sie in der Paartherapie? Ist das Langeweile oder passiert mit mir etwas Ernstes?"

 

Liebe Stefanie, da kann ich, wie so oft keine einfache Antwort geben. Es werden bei euch, wie bei vielen allerlei Themen übereinander liegen. Aber der Reihe nach. Keiner erwartet, dass man seinen Partner über die ganze Lebensspanne gleich attraktiv findet. Das wäre übermenschlich. Wenn du mit Deinem Mann noch weitere 40 Jahre zusammenbleiben möchtest – was bei der aktuellen Lebenserwartung schon etwas knapp gerechnet wäre – wirst du ihn sicher eine ganze Hand voll Jahren davon nicht so prickelnd finden. Gerechnet auf 52 Jahre Beziehung wäre das immer noch ein guter Schnitt. Was mich bei Dir aufhorchen lässt, ist, dass es schon ein Jahr andauert und du anfängst dich an kleinen Dingen festzufressen. Oft ist es so, dass wenn uns kleine Dinge so stören und uns gleichzeitig irgendwie langweilig ist, dass es nicht wirklich um diese kleinen Dinge geht. Hier geht es oft um den Zugang zur eigenen und eigenständigen Lebensfreude. Wir schauen dabei oft zu sehr in Richtung Partner. Manchmal weil sich das eingeschlichen hat mit zwei Kindern und dem dazugehörigen Alltag. Manchmal weil wir aufgrund einer eigenen kleinen (Bindungs) Unsicherheit immer etwas zu viel in Richtung unseres Partners schauen müssen. Du schränkst dich ein, weil du der Liebe nicht ganz trauen kannst. In diesem Fall schießt du auf den Boten, indem du seine Witze nicht mehr lustig findest und ihn nicht so attraktiv. 

Es könnte auch ein Problem sein, wie ihr miteinander über peinliche Gefühle sprecht. Was sagt Dein Mann, wenn du ihm sagst, dass du seine Witze gerade nicht sehr lustig findest? Und was sagt er dazu, dass du ihn gerade nicht besonders attraktiv findest? Eine interessante Frage ist hier auch: Findet er Dich eigentlich gerade attraktiv? 

Es klingt erstmal nicht so, als ob ihr euch schon auseinandergelebt hättet. Du scheinst auch noch nicht wirklich an anderen Männern interessiert. Frag Dich, ob du zu eng mit ihm bist. Und sprich mit ihm über Deine Langeweile und Deine Sehnsucht nach einem attraktiven Mann. Frag ihn dabei auch nach seinen eigenen Sehnsüchten. Es könnte spannend werden.

Kolumne Berliner Zeitung 5

Stefan, 36: "Lieber Herr Lenné, mir ist die Frage etwas unangenehm, ich bin seit zwei Jahren glücklich mit meiner Freundin zusammen. Das Einzige, was mich stört, ist das enge Verhältnis meiner Freundin zu ihrer Mutter. Ich kann die Mutter nicht leiden und habe Angst, dass sie, wenn wir mal Kinder bekommen sollten, eine größere Rolle in meinem Leben einnehmen wird. Sollte ich das ansprechen? Können die falschen Schwiegereltern eine Beziehung kaputtmachen?"

 

Lieber Stefan, ja das kann eine unangenehme Frage sein: Darf man seine Schwiegermutter in spe so sehr nicht mögen? Für mich ist Dein Problem auf drei Ebenen angesiedelt. Auf der ersten kannst du die Mutter Deiner Freundin nicht leiden, auf der zweiten geht es um das für Dich zu enge Verhältnis der beiden und auf der dritten geht es um Dein Zögern mit Deiner Partnerin darüber zu sprechen. Im Ende geht es hier um euer Vertrauen zu einander.

Ebene eins: Was genau magst du an Deiner Schwiegermutter nicht? Mag Deine Schwiegermutter dich vielleicht auch nicht? Was wäre anders, wenn du sie mögen würdest? Etwas ketzerisch gefragt, ist es vielleicht eher Dein Problem, weil du bisher keine der potenziellen Schwiegermütter gemocht hast? 

Ebene zwei: Was genau meinst du, wenn du sagst, das Verhältnis zwischen den beiden sei zu eng? Beeinflusst sie Deine Freundin zu stark? Schließen die beiden Dich aus? Ist Deine Freundin da noch nicht eigenständig genug? Brauchen Mutter und Tochter sich zu sehr als emotionale Stütze und Gesprächspartnerin? 

Eben drei: Was würde passieren, wenn du es ansprichst? Und was würde passieren, wenn du es nicht ansprichst? 

Vielleicht ist Deine Freundin noch sehr mit ihrer Mutter in einer kindlichen oder jugendlichen Art verbunden, so dass sie nur schwer mit Deinen Vorbehalten der Mutter gegenüber umgehen kann. Sie würde sich dann wahrscheinlich mit abgelehnt fühlen. 

Vielleicht könnte sie aber in Wirklichkeit auch ganz gut mit Deinen Vorbehalten umgehen und du schützt sie unnötigerweise mit Deinem Zögern. Dann läge der Ball wieder in Deinem Spielfeld und du könntest Dich fragen, warum du es Deiner Freundin nicht zutraust. Es könnte an Deiner Sicht auf die Frauen im Allgemeinen als das sogenannte schwache Geschlecht liegen. Es könnte auch, tiefenpsychologisch gesprochen an Deiner eigenen Geschichte mit Deiner eigenen Mutter liegen.

Wie fast immer an dieser Stelle: Sprich sie, in diesem Fall sehr vorsichtig darauf an. So könnt ihr zusammen wachsen und eure Liebe vertiefen oder herausfinden, dass es für euch doch noch nicht reicht.

Kolumne Berliner Zeitung 4

"Alice, 42: Ich merke, dass ich nach fünf Jahren Ehe Lust habe auf eine Affäre. Ich würde gerne meinen Mann fragen, ob er mir das gestatten kann. Aber ich habe Angst, ihn zu verletzten und dass ich ihn mit dem Wunsch verletze. Was sagen Sie aus Ihrer Erfahrung? Sollte man da mit offenen Karten spielen? Ich habe Angst, dass ich alles kaputt mache."

 

 

Liebe Alice,

Sexualität ist doch immer wieder das schöne freie Radikal in unserem Leben. Es ist für viele ein Vergnügen sich in ein Café zu setzen – oder Corona bedingt mit einem Heißgetränk im Becher durch den Park zu schlendern – und sich – je nach sexueller Orientierung und örtlichen Gepflogenheiten – am Anblick des präferierten Geschlechts zu erfreuen. Warum möchtest du eine Affäre? Ist es der andere Sex? Der andere Geruch? Ist es das Fremde, Neue, Aufregende, dass tatsächlich nach fünf Jahren Ehe nur noch selten in Schlafzimmern, Besenkammern oder Flugzeugtoiletten zu finden ist? Vielleicht geht es aber auch um eine unerfüllte und im Sexuellen vermutete Sehnsucht nach tieferer Nähe und Intimität? 

Wenn es eher um letzteres geht, ist eine Affäre nicht so ein guter Gedanke. Du solltest Dich dann eher auf die Suche machen, nach dem, was Dir in eurer Ehe fehlt, um es mit Deinem Mann gemeinsam zu erobern – so gut es eben geht. Ratgeber-Bücher, Freunde und auch Paartherapie können euch dabei helfen. 

Wenn es um freien Sex und Lebensfreude geht, ist meine Frage wie aufrichtig und tief ihr eure inneren verletzlichen Gefühle teilen könnt und wie sicher ihr jeweils in euch selbst ruht. Je offener und tiefer ihr miteinander sprechen könnt und je gefestigter ihr in eurem jeweiligen Leben seid, desto eher könnt ihr eure Ehe ein Stück öffnen, ohne sie aufs Spiel zu setzten.

Nach meinen Erfahrungen als Paartherapeut zum Thema offene Beziehungen und Affären, scheitern diese Versuche zu etwa 95%. Die 5% die es schaffen, können sehr gut miteinander reden – zumindest zu diesem Thema – und sie können sich gut in die Empfindsamkeiten des Partners einfühlen, so dass Eifersucht und Verlustangst besprochen und einigermaßen eingehegt werden können. Deinen Mann um die Erlaubnis für eine Affäre zu bitten ist sicher der nachhaltigere Weg für eure Ehe, als es heimlich zu machen. Auch wenn dies vielleicht aufregender ist. Vielleicht sind Deine Bitte und euer Gespräch darüber auch der Weckruf für Deinen Mann und Dich euch mehr um euren Sex und eure tiefe Nähe zu kümmern. Finde es heraus.

Kolumne Berliner Zeitung 3

(Samuel, 32): "Ich hatte ein hartes Pandemie-Jahr, eine harte Trennung 2020. Als Single treffe ich nun immer wieder Frauen über Tinder und kann mich irgendwie nicht verlieben. Als wäre ich innerlich leer. Ich zweifle an meinem Seelenheil. Kann man das Verlieben verlernen?"

 

Lieber Samuel, 

Nein, Dich verlieben kannst du nicht verlernen. Es ist eine uns Menschen ureigene Fähigkeit. Es scheint auch, dass du dich schon öfters verliebt hattest, somit ist wohl alles in Ordnung mit Deiner Grundausstattung. Du kannst es nicht verlernen, aber es kann sich etwas dazwischenschieben. Das scheint bei Dir der Fall zu sein. Du schreibst von einer harten Trennung. Die Pandemie mit ihrem ständigen ermüdenden Hintergrundflirren kommt hinzu. Sie ist eine Herausforderung an Langmut und provoziert uns mit ihrer nicht intuitiven Mathematik. Für die meisten von uns sind auch die normalen gesunden menschlichen Kontakte recht eingeschränkt. Tinder ist sicher ein hilfreiches Spielzeug, um potenzielle Partnerinnen kennenzulernen, aber so wie du Dein Leben beschreibst, könnten die Frauen auch alle persönlich bei Dir klingeln – es würde nichts passieren. Wie geht das, sich verlieben? Wo in Dir hat es Dich bisher berührt? Wie ist dieses sich innerlich leer fühlen? Ich vermute, dass Deine Fähigkeit Dich zu verlieben unter einem unsortierten Haufen von Gefühlen von Angst, vielleicht auch von Trotz, auf jeden Fall von Hilflosigkeit vergraben liegt. Du fühlst Dich dann wie unter einer Käseglocke: Da draußen ist wohl jemand, aber du weiß nicht, wie du da hinkommst. 

Meine Fragen sind: Wie lange warst du mit der Frau zusammen? War sie für Dich schon die Richtige für Deinen nächsten Lebensabschnitt? Hattest du schön öfters solch harte Trennungen? Hast du ein Händchen für schwierige Beziehungen? An welcher Stelle in Deinem Leben bist du – möchtest du Familie oder lieber weiter rumschauen? Was wollte die Frau?

Trennungen lassen uns uns wertlos fühlen. Wir zweifeln daran, ob wir überhaupt liebenswert sind. So einen Looser, wie einen frisch Gescheiterten will doch keine haben. Und das stimmt auch. Solange wir noch diese Schlagseite haben, sind wir nicht wirklich sexy.

Sprich mit Freunden über den Schmerz Deiner Trennung. Sprich darüber, wie klein und wertlos du dich vielleicht fühlst. Sprich über Deinen Ärger. Sei in Ruhe ungerecht. Sprich über Einsamkeit und Sehnsucht. Sprich mit ihnen über verlieben und darüber die Richtige zu finden. Lass Dich halten. Wenn du keine dafür passenden Freunde hast, schreib es auf. Bringe es raus. Es kann so zu einem Teil Deiner Vergangenheit werden, dann kann sich die Käseglocke wieder öffnen. Du wirst wachsen und du wirst Dich dann wahrscheinlich auf eine etwas andere Art für etwas andere Frauen interessieren. Probiere es aus.

Kolumne Berliner Zeitung 2

„Mein Mann (43, Lukas) und ich (38, Anna) sitzen seit Anfang der Pandemie im lockdown. Wir streiten uns viel, die Distanz fehlt. Ich bin kurz davor mich zu trennen. Sollte ich das Ende der Pandemie abwarten, bis wir wieder Distanz haben und ich einen klaren Kopf? Oder muss ich davon ausgehen, dass ich nun sein wahres Gesicht kennengelernt habe?“

 

 

Liebe Anna,

Die Frage scheint mir zu sein: Ein Geisterfahrer? Oder Hunderte? Was ist die Wahrheit? Eure hoffentlich schöne Zeit vor dem Lockdown oder „sein wahres Gesicht“ jetzt? Etwas provokant frage ich, ob es vielleicht auch „Dein wahres Gesicht“ ist, das sich hier zeigt. Es ist wie mit den Paaren, die in meine Praxis kommen und sich wieder furchtbar gestritten haben: Ist die Wahrheit der Streit oder die Zeit dazwischen, bei euch die schöne Zeit davor? Wie stellen die Paare diesen „Scheinwerfer“ auf? Welche Schatten wollen sie werfen? Fast jeder, der sein eigenes Streitverhalten ab der zweiten Eskalationsstufe auf einem Video ansehen müsste, würde sich schämen und sagen: „Oh – ne – sorry – weiß auch nicht – mach das bitte aus“. Vielleicht gilt das auch für euer pandemiebedingtes Verhalten. 

Die Pandemie – und das dadurch bedingte zusammen rumhocken – bringt bei vielen, wie unter einem Brennglas auch feinste Konturen gegenseitiger Verärgerung mit gleichzeitiger Langeweile zum Vorschein. Alles scheint unangenehm bekannt, nichts scheint sich zu verändern. Manchmal ist es wie eine Horrorversion von dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ihr kommt nicht zueinander und ihr kommt nicht voneinander weg. Alles scheint zu Streit zu führen – nichts zu Frieden und Geborgenheit. Schon bevor du morgens die Augen aufschlägst, verspannst du Dich.

Was fehlt? Was ist zu viel? Wie habt ihr das vor der Pandemie geschafft? Was taucht jetzt zwischen euch auf, dass du sogar über Trennung nachdenkst? Es ist ein bisschen, wie wenn zwei zusammenziehen müssen, die sich vorher in getrennten Wohnungen oder einer Fernbeziehung sehr gut verstanden haben. Alles, was Du vorher nicht zeigen oder aushandeln musstest, weil du es bei Dir zu Hause oder in Deinem Nicht-Beziehungs-Leben ausbalancieren konntest, braucht jetzt Platz in Deiner zwangs-engen Beziehung. Es sind oft die kleinen schamhaften Bedürfnisse oder Abneigungen, die jetzt ausgesprochen werden müssen. Vielleicht gefällt Dir seine Art sich die Zähne zu putzen nicht wirklich, oder er findet Dein Nachthemd eigentlich zu kindlich? Ist es schon Liebesentzug, nicht die gleiche Serie zu mögen? Und ist es dann ein Liebesbeweis, sie dennoch zusammen zu gucken? Darfst du Dich mal nicht für Deinen Partner interessieren, auch wenn ihr zusammen esst? Fenster auf im Schlafzimmer – oder zu? Wie handelt ihr das aus? Dürft ihr nebeneinander im Bett liegen, ohne das es erotisch knistert? Dürft ihr auch langweiligen Sex haben? 

Traut ihr euch nicht, euch das selbst einzugestehen und auch einiges davon anzusprechen, wird der andere schnell zu einem großen Ärgernis. Seine bloße Anwesenheit erinnert Dich unangenehm an diese innere Verspannung aus Nicht-Wissen-Wollen, der Scham davor dennoch genau so zu fühlen und Deiner Scheu es auszusprechen. Der Trennungsgedanke ist der hilflose Versuch diese innere Spannung im außen zu lösen. Du liebäugelst damit den Überbringer der schlechten Nachricht zu erschießen. 

Wie lange seid ihr schon zusammen? Habt ihr Kinder? Oder wünschst Du Dir welche? Du bist 38, Dein Mann ist 43. Du bist in einem Alter, in dem sich die meisten mit einem Partner zusammengetan haben, der fürs Leben halten soll. Wie ist das bei Dir? Vielleicht ist der ganze Ärger Deine Angst davor mit Lukas den nächsten Schritt zu wagen, und die  Pandemie ist nur der Geburtshelfer für diese Entscheidung.

Wie immer an dieser Stelle, meine Binsenweisheit: Sprechen hilft! Zeit hättet ihr wohl. Sprecht über eure Scham auch kleine Grenzen und kleine Dinge liebevoll auszuhandeln. Sprecht über die letzten Jahre, sprecht über die nächsten Jahre, sprecht über eure Langeweile. 

Vielleicht kommt ihr euch dabei viel näher als gedacht und als bisher. Vielleicht seid ihr auch wirklich die Falschen füreinander. 

 

Kolumne Berliner Zeitung 1

1.) Ich (Mann, 33) bin mit meiner Freundin seit einem Jahr zusammen. Ich liebe sie sehr, die Partnerschaft läuft super. Aber: Irgendwie finde ich den Sex mit ihr langweilig und habe den Eindruck, dass es auch nicht besser wird. Ist das ein Trennungsgrund? Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus?

 

Lieber Mann, 

das ist statistische gesehen schon etwas knapp, nach einem Jahr den Sex schon langweilig zu finden. Wärt ihr vier oder fünf Jahre zusammen, würde ich sagen: „OK – jetzt sind die Verliebtheitshormone aufgebraucht, jetzt müsst ihr sehen, wie ihr aus dem – hoffentlich erlebten – Nicht-voneinander-lassen-Können der ersten Jahre in einen guten sexuellen Alltagsflow kommt“. Da kommt dann eine Zeit in dem Sex eben, wie gemeinsam Essen nicht immer das Highlight des Tages ist. 

Meine erst Frage ist: „Hast du schon mit ihr darüber geredet?“ Manche schämen sich ein wenig. „Geht das denn? Darf ich einer Frau sagen, dass mir der Sex mit ihr langweilig ist“ 

Sprichst du mit ihr, sagt sie vielleicht: „Oh ja – ich finde es auch etwas langweilig mit Dir“. Will ja auch keiner hören – aber ihr könntet dann anfangen gemeinsam nach mehr Spaß im Bett zu suchen.  

Mach Dich auf die Suche, was Dir mit dieser Frau im Bett wirklich Spaß machen würde. Sind es die sexuellen Praktiken oder ist es das sich im Sex aufeinander einlassen können? Vielleicht hast du oder sie auch spezielle sexuelle Vorlieben? Ist es das Weich-Sein-Können, das Verschmelzen? Ist es zu weich oder zu starr? Ist sie im Bett innerlich abwesend? Kannst du Dich nicht öffnen, nicht einlassen. Bist du abwesend. Wie ist euer gemeinsamer Rhythmus? Wie sprechen eure Körper miteinander? Ist es schon so weit, dass du nur ihr zuliebe noch mit ihr ins Bett gehst? Wird der Sex so zu einer Art Currywurst-Essen-müssen-weil-einer-Hunger-hat? Viel unerfüllter Sex hat auch mit Scham zu tun. Scham sich zu zeigen. Sich dem Triebhaften hinzugeben. Scham heißt aber auch, dass wir etwas in uns haben, das wir achten. 

Evtl. hat Deine Partnerin auch sehr unangenehme sexuelle Erfahrungen gemacht – wie leider viele Frauen –, kann aber mit Dir noch nicht darüber sprechen. Das könnte sich dann genau so zeigen, wie du es beschreibst: Die Beziehung ist warm aber der Sex bleibt irgendwie fremd. 

 

Mich interessiert auch, ob du dieses Phänomen schon öfters in Deinem Liebesleben hattest. Dann könnte es sein, dass du so immer wieder einen Weg findest Beziehungen nicht zu lang und zu tief werden zu lassen. Nicht in bewusster Absicht, sondern als Ergebnis einer kaum spürbaren Zögerlichkeit. Vielleicht hattest du auch schon die eine oder andere etwas längere Beziehung, in der du zu lange geblieben bist. Auch das wäre ein Zeichen, dass du das tiefere Einlassen scheust. Es ist dann ein Bisschen wie auf einem Autobahn-Rastplatz: es ist schon ok, es gibt einen Kiosk und eine Toilette, es ist auch nicht zu laut und nachts brennt Licht, aber eigentlich ist es verschwendete Zeit. Dies wären Hinweise auf eine Bindungsirritation. Etwas was aus der frühen Kindheit unsichtbar aber mit großen Auswirkungen in Deine Gegenwart schwappt. Ein Zögern, ob du Dich wirklich einlassen kannst. Eine Frage dazu ist: „Konntest du mit Deiner Mutter über die Dinge sprechen, die Dich in Deinem Innersten bewegen?“. Du kannst Dir diese Frage auch für Deine Liebesbeziehung stellen.

In den 30ern beginnen viele Menschen sich nach dem Partner fürs Leben, für eine Familie umzusehen. Wie ist das bei euch Beiden? Sprecht ihr schon über Kinder? Bisher bist du vielleicht in einer Art „Studenten-Modus“ unterwegs gewesen – Mann/Frau sieht sich noch um beim anderen Geschlecht. Da ist vieles in der Liebe einfacher, weil man ja gehen kann und mit jemanden anderen anderes erleben. Wenn du Dich mit einem Menschen auf eine Familie einlassen willst, ist dieser Weg innerlich erst einmal versperrt. Oft kommen Bindungsirritationen erst dann zum Tragen. So kann „langweilige Sex“ sogar zu einer unbewussten Verhütungsmethode werden. Die gute Nachricht ist, Bindungsirritationen sind lösbar.

Ob das alles ein Trennungsgrund ist, kannst du nur selbst entscheiden. Schnuppere an ihrem Hals, lasse ihren Geruch auf dich wirken und sprich mit ihr.

 

Das ungeschützte Bedürfnis

Diese kleinen Pflanzen ganz innen – noch ganz frisch – in der eigenen Innenwelt. Noch eine zarte, unscharfe Idee. Ein fast Geborenes. Geheim gehalten – versteckt vor Richtern und Scharfrichtern. Wichtig. Äußerlich noch nicht zu zeigen. Noch im zarten Wochenbett. Wichtig. Darf ich ihn haben, diesen eigenen Standpunkt? Kann er überleben? Kann ich ihn schützen? Ist für einen Moment alles was ich habe – was ich bin. Stirbt er, sterbe ich, stirbt meine Hoffnung. Wer sind die Täter? Wer bedroht? Kann ich mich aufrichten? Wer kommt helfen? Wer schützt? Wer kommt? Wer schaut? Wer fragt: „Wer bist du?“ Wer fragt: „Wie willst du Dein Leben leben?“ Wer streckt mir seine Hände entgegen und wer hilft mir mich zu finden?

Freiheit

Ich will Dir meine Freude an Dir zeigen

meinen Fluss mit Dir teilen 

wie er täglich neu entspringt 

wie er verläuft.

Dieses nebelhaft sich bildende wird sich aneinanderschmiegen,

Halt geben, 

die große schöne Hilflosigkeit des Lebens beruhigen.

Wir sind nicht mehr allein 

im Dunklen. Ich nehme die Sicherheit mit in den Tag

 

Von Dir gehe ich aus 

Und zu Dir kehr ich zurück.

Was heute Tinder ist, war frühere die Disco

Ein Interview mit mir in Zeit Magazin Online. Nach drei Tagen fast 100.000 Aufrufe. Das ist sehr aufregend für mich und macht mich auch stolz.

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-03/paartherapie-liebe-online-dating-beziehungen

Auf der Zeit Online Seite ist’s schöner dargestellt.

Paartherapie"Was jetzt Tinder ist, war früher die Disko"

Der Kapitalismus und das Internet haben die Liebe kaputt gemacht? Nein, sagt der Paartherapeut Fabian Lenné. Vielmehr gebe es heute einfach weniger kaputte Beziehungen. Interview:  Tomasz Kurianowicz

30. MÄRZ 2019, 16:32 UHR

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Die Soziologin Eva Illouz behauptet, die Liebe sei tot. Internetdating und Kapitalismus hätten sie zerstört. Der Paartherapeut Fabian Lenné hält dagegen: In 20 Jahren Therapiearbeit habe er festgestellt, dass immer mehr Menschen gute Beziehungen leben – auch dank des Internets.

ZEITmagazin ONLINE: Die Liebessoziologin Eva Illouz schreibt, dass das Internetdating kapitalistischen Kriterien folgt und dazu führt, dass der Mensch auf dem Datingmarkt zu einer Ware verkommt. "Die moderne Sexualität ist", sagt sie, "in ihrem Kern quantitativ: Sie zielt auf Akkumulation, wechselnde Reize, Neuigkeit, Überfluss." Verstehen Sie die Kritik?

Fabian Lenné: Das wird immer so gesagt. Aber ich glaube, das Leben läuft anders: Was jetzt Tinder ist, war früher die Disko. One-Night-Stands gab es schon immer. Dass es eine Experimentierphase im Leben eines Menschen gibt, in der man Erfahrungen sammelt mit verschiedenen Partnern, ist völlig normal. Als Therapeut kann ich eine zunehmende Bindungsangst nicht bestätigen. Ich würde eher sagen: Es existiert ein differenzierterer Umgang mit Beziehungen als früher. Man ist anspruchsvoller geworden. Und die Bindungsangst wurde früher nur nicht so offen angesprochen, weil viele in ihren festen Rollen feststeckten. 

ZEITmagazin ONLINE: Sie meinen – man hat über sein Unglück einfach nicht oder nur sehr wenig gesprochen?

Lenné: Genau. Man hat jemanden kennengelernt, hat sich ein wenig verliebt, die Frau wurde schwanger, man bekam ein Kind, hat geheiratet und ist auf dieser Basis zusammengeblieben. Brüchige und dysfunktionale Beziehungen gab es zuhauf. Diese Beziehungen wurden aber nicht so schnell aufgelöst, weil man eben einem enormen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt war. Man hatte Angst vor der Meinung der Nachbarn, der Kirche, der Gesellschaft. Es gab ja sogar noch das Schuldprinzip in der Ehescheidung.  

Fabian Lenné, Jahrgang 1960, arbeitet seit 20 Jahren als Paartherapeut in Berlin. Er ist Autor des Buches "Vom Umgang mit der Liebe". Lenné ist Ausbildungsleiter am Institut für Integrative Paarentwicklung. © privat

ZEITmagazin ONLINE: Was ist denn mit dem umgekehrten Extrem? Jetzt gibt es Paare, die nach einem Jahr Beziehung weniger Sex haben und sich sofort denken: "Irgendetwas stimmt nicht! Trennen wir uns!" 

Lenné: Sobald die Rollenklammer wegfällt und Sex frei wird, bleiben wir nicht zusammen, weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen. Ohne Druck. Der Anteil an Paaren, die zusammen sind, weil sie sich das gut überlegt haben, ist heute viel größer als vor 30 oder 50 Jahren. Davon bin ich überzeugt. Damals hat man bei Paarstatistiken dysfunktionale Paare mitgezählt, die nicht freiwillig zusammen waren, sondern wegen des gesellschaftlichen Drucks. So mag es gewirkt haben, dass es mehr glückliche Paare gab. Heute sind die Menschen mutiger und emanzipierter und nicht mehr so abhängig voneinander – sozial und finanziell. Sie suchen nach einem neuen Partner, wenn sie merken, dass es nicht mehr passt. Das muss nicht falsch sein. 

ZEITmagazin ONLINE: Das ist aber doch eine Entmythisierung des Liebesbegriffs! 

Lenné: Ich glaube nicht, dass der sich ändert. Früheste Stellen in der Bibel handeln von einer Liebe, die nach den gleichen Kriterien funktioniert wie heute. Das Unglaubliche, das einem widerfährt, das Bedeutsame, diese ganzen Vergleiche, dass die Liebe einen trifft wie ein Schlag – das war damals so, und das ist heute immer noch so. Der Liebesbegriff impliziert, dass die Liebe, die entsteht, exklusiv und für immer ist. Dass es dann am Ende doch nicht so exklusiv und doch nicht so für immer ist, ist eine andere Frage. Aber das Grundprinzip hat sich nicht verändert. Alles andere ist nur Kultur. 

ZEITmagazin ONLINE: Eva Illouz' großer Einwand ist, dass die gesellschaftlichen Bedingungen – also der Kapitalismus – den Menschen zur Ware degradieren. Das wiederum würde sich auf die Art und Weise übertragen, wie wir unsere Beziehung leben, wie wir unsere Partner auswählen: etwa nach Aussehen, nach Fitness, nach dem Gehalt. Bestreiten Sie, dass das zugenommen hat?

Lenné: Haben wir das vor 2.000 Jahren nicht auch getan? Nach Aussehen, nach Leistung, nach Fitness ausgewählt? Wann war das anders? Es gibt ein schönes Buch, da geht es um Aggressionen in Kulturen aus der Steinzeit. Schon da hatten die besseren Jäger bei der Wahl der Partnerin einen leichten Vorteil: Sie waren stärker und daher begehrter. Was also bei uns die Kreditkarte ist, war dort die körperliche Stärke. Auch da ragt etwas heraus. 

ZEITmagazin ONLINE: Es gibt aber graduelle Unterschiede zwischen den Auswahlkriterien in der Steinzeit und den heutigen Bedingungen im Kapitalismus. 

Lenné: Na ja, alle Kulturen haben etwas gemeinsam: Menschen suchen nach der Wahrheit, nach der wirklichen Begegnung, nach dem Transzendenten. Sie wollen sich in einem größeren Zusammenhang begreifen. Jetzt ist die Frage: Was gehört zu einer Person wirklich dazu? Und was nicht? Gehören die neurotischen Bindungsangstsysteme zu einer Person? Oder sind die am wenigsten Teil der Persönlichkeit?

ZEITmagazin ONLINE: Sagen Sie schon – was ist die Antwort?

Lenné: Man liebt das Innerste. Wie bei einem Baby. Man liebt es ja nicht, weil es einen vollkackt und einen nicht schlafen lässt. Man liebt es, weil es das Baby ist. Zu mir kommen so viele Menschen, die Interesse am Eigentlichen haben. Das muss man würdigen. Man könnte sagen, dass vor 50 Jahren die Rollenbilder die Ablenkung vom Wesentlichen waren. Und heute sind es die digitalen, kapitalistischen Dinge. Aber der Kern, das Interesse an einer wesentlichen Begegnung, ist heute so präsent wie immer. Eva Illouz kritisiert den Kapitalismus, aber sie zeigt nicht auf, wann die Bedingungen anders waren. 

ZEITmagazin ONLINE: Hat sich also nichts verändert am Liebesbegriff in den letzten Jahrzehnten?

Lenné: Was sich ändert, ist die Ausgestaltung der Beziehung. Wenn ich mit meinen Freunden aus dem Iran spreche, dann merke ich, dass die genauso lieben wie wir. Für die ist die Liebe genauso schmerzvoll und schön wie für uns. Die ringen genauso um Nähe und Intimität, Erkenntnis und Wahrheit. Es sind nur andere Formen. Eine andere Praxis als bei uns, aber das gleiche Bedürfnis.

ZEITmagazin ONLINE: Sie sind seit 20 Jahren Paartherapeut: Haben sich denn die Themen, die Sie in Ihrer Praxis mit den Patienten besprechen, geändert?

Lenné: Eigentlich nicht. Ein großer Teil der Paare, die zu mir kommen, sind Paare mit kleinen Kindern. Die haben das klassische Übergangsproblem. Vorher konnte die Frau oder der Mann ja immer gehen. Mit einem Kind sieht die Situation anders aus. Man kann nicht einfach aufstehen und sich verabschieden. Da bekommen es viele mit der Angst zu tun.

ZEITmagazin ONLINE: Verändert das Kind so viel?

Lenné: Die Beziehung ohne Kind ist eine freiwillige Sache. Man kann immer raus aus dem System. Mit Kind ist das anders. Man wird konfrontiert mit unglaublichen Abhängigkeitsgefühlen und viel Überlastung. Die ersten eineinhalb Jahre schläft das Kind vielleicht schlecht, ist etwas krank – das verursacht Stress. Alles richtet sich aufs Kind, schließlich sind die ersten eineinhalb Jahre zentral für das Glück dieses kleinen Menschen. Es ist also richtig, dass man die ganze Zeit hinguckt und sich selbst zurücknimmt. Wenn man aber nicht ganz so gefestigt ist und wenn dann noch Eifersucht ins Spiel kommt und fehlende Sexualität, dann kann das ein Paar ziemlich auf die Probe stellen. Das betrifft gerade die Sexualität: Die Frauen haben in der Phase nicht so richtig Lust auf Sex. Sie kümmern sich eher ums Kind. Die Männer haben weiterhin Lust. Das führt zu Konflikten.

ZEITmagazin ONLINE: Was für einen Rat geben Sie?

Lenné: Da kann man eigentlich nicht viel machen; das muss man aushalten. Im Grunde ist die Aussage: Eineinhalb Jahre abwarten! Was hilft, ist eine Annahme der verschiedenen Bedürfnisse. Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn der Mann Sex will, muss die Frau keinen Sex mit ihm haben, wenn sie nicht will. Aber es hilft, wenn sie ihren Partner spüren lässt, dass sie ihn versteht. Dadurch fühlt sich der Mann wiederum ernst genommen und in seinen Bedürfnissen angenommen. Umgekehrt gilt das Gleiche.

ZEITmagazin ONLINE: Was ist denn der zweite wichtige Punkt bei der Paarberatung?

Lenné: Die Fähigkeit zur Intimität. Mit Intimität meine ich nicht Sexualität, sondern das Gefühl, sich zu begegnen. Dass das Subjekt des einen mit dem Subjekt des anderen in Verbindung kommt, dass es ganz persönlich wird. Das ist der zentrale Blickpunkt. Da habe ich viel mit Bindungsstörungen und fehlendem Selbstwert zu tun. Die Leute trauen sich aus irgendwelchen Gründen nicht aneinander heran. Sie öffnen sich nicht wirklich. Man bleibt sich dann immer ein wenig fremd und kommt nicht wirklich in eine intime, weiche, zugewandte, herzliche Verbundenheit. 

ZEITmagazin ONLINE: Sind Sie überzeugt davon, dass jeder Nähe finden kann?

Lenné: Die meisten Leute kriegen das hin. Es ist auf alle Fälle das, was alle anstreben. Das Belohnungssystem im Hirn springt massiv an – bei Dingen, die uns anderen Leuten näherbringt. Wenn wir einer alten Dame über die Straße helfen, dann freuen wir uns. Wenn wir Freunde einladen und die sitzen mit uns zusammen, wir bekochen sie und erfreuen uns an der gemeinsamen Zeit, dann passiert etwas ganz Schönes in uns. Wir werden weich, die Zeit verschwindet. In den ersten zwei Stunden guckt man noch auf die Uhr – und plötzlich sind sechs Stunden um. Es gibt einen Flow, man fängt an, persönlichere Sachen zu besprechen. Man fühlt sich glücklich und verbunden.

ZEITmagazin ONLINE: Es entsteht Nähe und Intimität?

Lenné: Ja. Das ist übrigens mein Lieblingsthema. Auch bei den Paaren mit Kind ist es das zentrale Ding. Je besser die Leute in diese Intimität kommen können, desto weniger Anleitung brauchen sie für ihre Beziehung. Wenn ich weich werden kann und meine Frau auch und wir streiten, dann kommen wir selber drauf, wie wir sprechen müssen, damit Kommunikation klappt. Diese Fähigkeit zur Intimität ist nicht kleiner oder größer geworden in den vergangenen 20 Jahren. Jede Generation muss sie neu üben.